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Ein Vermächtnis für Uelzen

„Ich, Lina Gertrud Noch, erblickte am 2. August 1902 in dem sächsischen kleinen Muldenstädtchen Colditz als Tochter des Steingutobermalers Theodor Emil Noch aus Colditz und seiner Ehefrau Pauline Hermine Haferkorn das Licht der Welt. Von 9 Kindern, 5 Mädchen und 4 Jungen war ich das drittletzte Kind und jüngste Mädchen. Ich verlebte 6 glückliche Kinderjahre und wurde Ostern 1909 in die hiesige Bürgerschule geführt, die ich bis zu Ende meiner Schulzeit besuchte. Ostern 1917 wurde ich in der Egidienkirche konfirmiert.Gründonnerstag erhielt ich das heilige Abendmahl. Damit war meine Schulzeit beendet, ich habe sie genossen, wie wohl selten ein Kind. .. Nach meiner Entlassung aus der Bürgerschule trat ich in die hiesige Handelsschule ein, um mich für den kaufmännischen Beruf auszubilden. Vom 18. Juni 1917 ging ich nebenbei gegen ein kleines Taschengeld in das Kontor der Dessauer Kunsttöpferei GmbH, um mir noch einige praktische Kenntnisse anzueignen.
Für den 10. Juni 1918 kündigte ich bei der Firma, um eine besser bezahlte Stellung auf dem Rathause anzunehmen.“

Diese selbstbewusste Jugendbiographie vertraute Gertrud Noch einem (verschließbaren) Tagebuch an in einer Zeit, als Tagebuchschreiben noch üblich war. Neun Jahre arbeitete Gertrud Noch im Rathaus in Colditz. Dann wurde sie krank, arbeitsunfähig und „freigestellt“; erhielt aber drei Jahre weiter ihr Gehalt. Diese keineswegs übliche Art und Weise des Umgangs mit einer arbeitsunfähigen Mitarbeiterin sei – so ihr Neffe Karl-Heinz Noch in einem Gespräch – wohl der Beziehung zu einem Ratsherrn, einem Papierfabrikbesitzer, geschuldet. Wir kommen später darauf zurück.

Gertrud Noch mit Ihrem Bruder Alfred und ihren Eltern. Undatiert. Foto: Karl-Heinz Noch

Umzug nach Uelzen

Bis 1930 unternahm sie viele Reisen, u.a. zweimal nach Venedig, Garmisch Partenkirchen und zu Kuraufenthalten nach Bad Tölz. Und jetzt kommt Uelzen ins Spiel: 1930 kaufte Gertruds Bruder Alfred Noch eine Firma für Metallbearbeitung und Installation in Uelzen. Und für die neu gegründete Firma in der Gudesstraße 29 brauchte er – der Handwerker – einen kaufmännischen Partner. Ob es Gespräche oder Briefwechsel zwischen den beiden Geschwistern gab, die auch das ,,Geschäftliche“ betrafen, wissen wir nicht. Aber – so vermutet Gertruds Neffe – ihr Umzug von Colditz nach Uelzen sei eher eine Flucht gewesen, weg von dem (verheirateten) Mann, den sie liebte (s. oben). Auf jeden Fall zog Gertrud Noch nach Uelzen und wurde Geschäftspartnerin ihres Bruders. Nach schwierigen Anfangsjahren wurde die Firma so leistungsstark, dass im Büro Mitarbeiter und Lehrlinge eingestellt werden konnten. Auch wenn Gertrud in ihrer Biographie schrieb, sie habe „6 glückliche Kinderjahre“ gehabt, sei ihre Erziehung wohl eher streng gewesen. Und diese Strenge, aber gepaart mit sozialer Fürsorge, übertrug sie auch auf die Ausbildung der Lehrlinge. Die Firma trug zwar den Namen Alfred Nochs, aber ohne die unermüdliche Mitarbeit seiner Schwester hätte sie nur mit halber Kraft funktioniert; sie war der kaufmännische Teil der „Chefetage“.

Ehelosigkeit

Sowohl zum 20jährigen Bestehen als auch zum 50. Jubiläum wurde Gertrud Noch besondere Erwähnung und Ehrung zuteil. Auch nach dem Tod ihres Bruders (1975) und dem Verkauf der Firma stand sie dem neuen Besitzer beratend zur Seite. Aber sie nahm sich auch ihre Auszeiten: Auch nachdem sie nach Uelzen gezogen war, unternahm sie viele Reisen trotz der herausgehobenen Position in der Firma. Offensichtlich hatte sie ein „Betriebsklima“ mit guten Mitarbeitern und gegenseitigem Vertrauen geschaffen, das es ihr erlaubte, hin und wieder nicht anwesend zu sein und sich auch nicht als unentbehrlich zu betrachten.
Gertrud Noch war nicht verheiratet, auch wenn es wohl Bewerber genug gab und sie auf ihren vielen Reisen eine Menge Bekanntschaften und Freundschaften schloss. Nein, schuld an ihrer Ehelosigkeit war eine über Jahrzehnte andauernde unerfüllte Liebe. In einem Brief schrieb sie da sie den Mann nicht kriegen konnte, wollte sie von einer Ehe nichts wissen. Der Mann war der bereits erwähnte Papierfabrikant, dem sie sich bis zu seinem Tod innig verbunden fühlte.

Soziale Verantwortung

Die soziale Verantwortung, die Gertrud Noch gegen über der Firma ihres Bruders und ihren Mitarbeitern über-nahm, galt auch ihrer zweiten Heimat Uelzen. Sie sorgte dafür, dass das erarbeitete Firmenvermögen nicht nur ins Geschäft reinvestiert und schon gar nicht ins Privateigentum überführt, sondern für soziale und kulturelle Einrichtungen in Uelzen gestiftet wurde.

,,Etwas von dem Segen des jahrzehntelangen engagierten Lebens in der Stadtgemeinde mit ihren Einrichtungen und Institutionen an diese fordernd zurückgeben, das wollte Gertrud Noch und so hat sie gehandelt.“

So beschreibt ihr Neffe Karl-Heinz Noch seine Tante in einem Gespräch mit Reimer Egge. Gertrud Noch vermachte der Stadt Uelzen das Haus an der Gudesstraße 29, die Garagen an der Mühlenstraße3a und das Grundstück RipdorferStr. 3. Gertrud Noch starb am 5. März 1981. Im Mai 1983 kaufte die Stad Uelzen das Schloss Holdenstedt, in dessen Räumlichkeiten das Heimatmuseum untergebracht wurde. Zur Finanzierung wurde u.a. der Verkaufserlös des Hauses an der Gudesstraße29 sowie ein Legat der Schriftstellerin Grete Wolf-Schlemm verwandt. Dazu schrieb die „Allgemeine Zeitung“:

„Würde Gertrud Noch erleben, dass es diesem Zweck dient, sie wäre es zufrieden. Denn in ihrem Testament ist festgehalten, dass es für soziale und kulturelle Zwecke verwandt wird.“

Heute steht dieses Schloss zum Verkauf. In Uelzen gibt es nur wenige Straßen, die nach Frauen benannt sind. Aber es gibt eine Gertrud-Noch-Straße. Und das ist gut so.

Dieser Beitrag ist auch in dem 2015 erschienen Band Frauen die Uelzen beweg(t)en zu finden. Herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. .Dort dann mit detaillierten Quellen- und ergänzenden Angaben und weiteren Frauenpersönlichkeiten.