Du betrachtest gerade Redebeiträge aus dem Publikum

Redebeiträge aus dem Publikum

Wie bei einem Erzählcafé üblich, kommen nicht nur die Erzählenden zu Wort, sondern auch die Zuhörenden.
Hier einige Auszüge aus den Wortbeiträgen:

… Sie sagten, die Bevölkerung hat nichts mitgekriegt; auf dem Lande stimmte das. Aber etwas haben wir mitgekriegt, wir haben immer darauf geachtet, wo der Briefträger hingeht. Dann kam wieder ein Trauerbrief: „Gefallen für Führer und Vaterland“. …
Ich habe eine sehr starke Mutter, sie hat uns durch alles gebracht, sie war noch schwanger und hat sich um die Verwundeten gekümmert. Am ersten Tag schrien alle nach Frau Schulz. Mama musste los, wenn wieder was passiert war, mit dickem Bauch, Gummistiefeln und Trainingsanzug. Aber sie hat es geschafft, hat meinen jüngsten Bruder noch entbunden.
Mich stört etwas allgemein, Sie können jetzt sagen, ich war ein Nazi. Wenn Sie sagen, wir sind befreit worden, dann stimmt das für 50%, aber die anderen haben für Deutschland ihr Blut gegeben..“

„Eigentlich darf ich mich hier gar nicht äußern. Denn ich bin zu klein gewesen 1945, um mich zu erinnern. Dennoch glaube ich, gerade in der Beschäftigung mit meiner Kindheit und in Gesprächen mit meinen Eltern ist mir klar geworden, dass traumatische Folgen stärker in mir stecken, als ich lange Zeit begriffen habe…
Ich habe als Zweijähriger schon lernen müssen, mein Mäntelchen zu schnappen, in den Keller runter zu laufen und ich wusste, dass etwas ganz Schreckliches sein musste. …
Ich glaube, dass diese Dinge, ganz früh schon großes Kind sein zu müssen und etwas mitzuerleben, was man nichtbegreift, Wirkungen haben…“

„Ich bin Stettiner, bin im Februar 1945 noch zur Hitlerjugend-Kompanie eingezogen worden. Wir mussten erst mal von Stettin zu Fuß nach Heringsdorf laufen, von dort nach Binz und wurden als Panzerjagdkommando ausgebildet. Dort haben wir gelernt,mit russischen Handgranaten umzugehen und mit russischen Gewehren zu schießen. Bei Stralsund wurden Hunderte Jugendlicher erschossen. Wir sollten den Rügendamm verteidigen, dann sind wir in Sassnitz gelandet. Dort war das Chaos, unsere Unterscharführer und Ausbilder waren weg – wir wurden ja von der Waffen-SS ausgebildet wir kamen auf einen Frachter und dann ging es Richtung Dänemark. Da hatten wir gedacht, jetzt hätten wir es geschafft, aber wir kamen nicht vom Schiff und von Dänemark aus wurde auf uns geschossen. Wir warteten auf dem Schiff, hatten acht Tage lang nichts zu essen gehabt, bis die Dänen uns Brötchen schickten, aber die ganze Besatzung hatte Durchfall. Irgendwann kamen wir dann in Gefangenschaft. Da gab es auch nichts zu essen, aber es war Frieden. Ich war 16 Jahre alt.“

„Ich glaube, dass es auch ganz wichtig ist, dass wir einen gewissen Rahmen herstellen, der als historisch bezeichnet wird. Alles, was an Folgen des Krieges passiert ist, an Krieg, an Vertreibung, an schrecklichen Dingen, ist vom 30. Januar 1933, von der Machtergreifung durch Adolf Hitler nicht zu trennen. Wenn wir diesen Zusammenhang nicht herstellen, jammern wir auf hohem Niveau. Wir müssen uns im Vergleich immer wieder vor Augen halten, allein bei der Belagerung von Leningrad sind 900.000 Menschen verhungert. In deutschen Städten sind durch Bombenangriffe etwa 800.000 Menschen umgekommen, beim Bombenangriff auf Stalingrad sind allein 40.000 Menschen getötet worden. …
Das ist doch unsere Vergangenheit, dass wir trotz dieser schrecklichen Erfahrungen nicht in der Lage waren, das Leugnen zu durchbrechen. ..“

„Ich habe mit meinen Eltern nur im Streit über die Zeit geredet. Mein Vater, der in der NSDAP war, hat sich natürlich verteidigt und ich bin auch sicher, das war ein anständiger Mensch, er war dennoch in dieses ganze System eingebunden, es konnte sich ja niemand daraus freimachen. Mit ist es jedoch wichtig zu fragen: Was habe ich daraus gelernt? – Mein Vater hat mich aus dem Haus geschmissen, als ich mit den Ostverträgen anfing, das war schlimm. Ich habe trotzdem etwas Wichtiges gelernt, ich weiß, dass ich mit Menschen nur friedlich zusammenleben kann, wenn ich sie kenne. Und als Ostpreußen frei war, das war 1990, bin
ich sofort mit meinen Geschwistern dorthin gefahren. … Die Menschen müssen zusammen kommen…“