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„…so hässlich sind Sie doch gar nicht!“

Sie liebte ihr heimatliches Mittelgebirge und kam dann doch nach Ostfriesland. Ursula Benedix-Engler war gerne zu Hause, betrieb dennoch,,ein ambulantes Gewerbe“, wie sie ihre 16 Jahre Parlamentsarbeit bezeichnete. Sie wollte mindestens fünf Kinder haben, brachte es aber ,nur“ zu angeheirateten Kindern. Sie wollte nie Lehrerin werden, wurde es aber dann doch. Sie meinte nicht öffentlich reden zu können, tat es später aber fast jeden Tag.

Und sie wünschte sich Geschwister, blieb aber Einzelkind: Ursula Benedix-Engler, geboren 1922 in Neurode, Grafschaft Glatz (heute Nowa Ruda, Polen). Ihre Eltern führten eine Lebensmittelgroßhandlung mit Spirituosenherstellung und Weinimport.
Ihre Kindheit kann als beschaulich bezeichnet werden. So gab es eine verschworene Spielgemeinschaft – zwei Mädchen, vier Jungen und „gleich nach der Schule ging es meist zum Galgenberg, wo der Wald mit dem lichten Baumbestand einen idealen Platz für Spiele wie,Räuber und Gendarm“, „Bäumchen, wechsle dich“ und natürlich für Indianer träume bot. Wie oft wurde ich an einen Baum gebunden und dann von einem,Helden“ befreit.“ Stoff für die „Indianerträume“ bot ihr Karl May, von dem sie 43 Bände besaß.
Obwohl als Einzelkind sehr behütet aufgewachsen – um sie herum gab es die Eltern, zwei „Dienstmädchen“ und zwei unverheiratete Tanten – gelang es ihr, ihren ersten Schultag ohne lästige Begleitung zu schaffen – ein erster Schritt zu Selbständigkeit und Selbstbewusstsein.

Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus

1922 geboren zu sein bedeutet ein Heranwachsen in der Zeit des Nationalsozialismus. Hautnah hat Ursula Benedix diese Zeit in der Schule, aber auch in ihrem Elternhaus erlebt: Als besonders minderwertige Rasse wurde uns (im Biologieunterricht) die jüdische (Rasse) dargestellt. Ich nahm daran zunächst keinen Anstoß, denn mein Vater hatte mir schon immer erklärt, dass er sich bemühe, möglichst nicht bei Juden einzukaufen. .. Eines Tages musste ich sogar ein Paar Turnschuhe, die ich beim Schuhgeschäft Weisblum, einem jüdischen Geschäft, gekauft hatte, zurückbringen.“

Da erwacht Ursulas Widerspruchsgeist; sie macht auch ihrem Vater klar, dass die Verachtung von Menschen wegen ihrer Rasse nicht nur unchristlich, sondern unmenschlich sei. In der Kreisstadt Glatz erlebt sie die Reichspogromnacht mit dem Brand jüdischer Geschäfte und der Synagoge. Am nächsten Tag will sie in der Schule ihrem Zorn und ihrer Empörung Luft machen. Mit Unterstützung ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen stellt sie ihren Lehrerinnen und Lehrern Fragen. Es entwickelt sich folgender Dialog:

Ursula:“Herr Dr. Huja, was halten Sie von den Vorgängen der heutigen Nacht?“
Dr. Huja:“Es war höchste Zeit, dass sich die kochende Volksseele endlich einmal Luft gemacht hat. „
Ursula:, Herr Dr. Huja, hat die Volksseele überall gleichmäßig gekocht?“
Die Antwort des Herrn Dr. Huja: eine schallende Ohrfeige für die damals 16-jährige.

Und der Rat einer damaligen Lehrerin:
„Weißt Du Kind, was Du da machst? Du mischt Dich in die Politik ein, und das ist etwas ganz Schlimmes, vor al-
lem als Mädchen und Frau darf man das nicht.“

Ursula Benedix verlässt das Pro-Gymnasium mit mittlerer Reife; es folgen Höhere Handelsschule, kaufmännische Lehre, Wirtschaftsoberschule und Studium in Leipzig und Breslau. Man muss dazu wissen, dass ihre Eltern mit der Wahl Leipzig absolut nicht einverstanden waren, war doch diese Stadt nach Vaters Meinung ein „Sündenpfuhl“.

Es ist der 20. Juli 1944: Ursula, Freunde und Bekannte (darunter ein SS-Mann) hören im Radio die Nachricht vom versuchten Attentat auf Hitler und dass die Vorsehung wieder einmal die schützende Hand über den Führer gehalten habe. Die spontane Reaktion von Ursula, Schade, unsere letzte Chance!“ traf auf eisiges Schweigen und versteinerte Gesichter. Vielleicht war es eine andere schützende Hand, die dafür sorgte, dass diese Äußerung ungeahndet blieb. Im Sommer 1944 wurde die Breslauer Universität geschlossen und U. Benedix zum Reichsarbeitsdienst (Flak) eingezogen.

Die Sinnlosigkeit eines Krieges wird überdeutlich in der sog. Nachkrieggszeit: Millionen Menschen getötet, Millionen ausgebombt und geflüchtet, Millionen traumatisiert. Wie für so viele andere sind Hunger, Entbehrungen, Demütigungen auch für Ursula Alltag. 1946 begann eher unfreiwillig und ohne Ausbildung ihre Lehrerinnentätigkeit in den Klassen 1-4 einer Grundschule mehr schlecht als recht, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt. Sie musste den Kleinen wohl leid getan haben, denn die trösteten sie: „Ach Tante Lehrerin, wir helfen Dir schon!“

Flucht in den Westen

Auch wenn Ursula in Prießen in der späteren DDR ihre erste große Liebe fand und sich auch verlobte, war sie fest entschlossen, in den Westen zu fliehen. Und 1950 – nach dem Studium an der Universität Köln – kommt nun endlich Uelzen ins Spiel: Ursula Benedix wird Oberstudienrätin an der Berufs-und Berufsfachschule Uelzen. Eine ehemalige Schülerin, Christina Deuter, schreibt über ihre Lehrerin u.a.

„Frau Benedix unterrichtete mich in Staatsbürgerkunde. Durch ihren lebendigen Unterricht begann ich mich erstmals für Politik zu interessieren. Frauen in der Politik in jener Zeit, das war schon etwas Besonderes. Für mich war sie immer über alle Parteigrenzen hinaus lange Jahre hindurch ein qroßes Vorbild und wegweisend für meine Zukunft. Als Lehrerin habe ich sie sehr geschätzt, weil sie damals schon Mädchen ermunterte, selbstbewusst aufzutreten.“

Sollte sie jemals in einem freien Land leben, so hatte Ursula Benedix auf ihrer langen Flucht durch die Trümmerlandschaft Deutschlands geschworen, würde sie ihren Beitrag leisten, um diese Freiheit zu bewahren.

Lokalpolitik in Uelzen

1960 war es soweit, diesen Schwur in die konkrete politische Arbeit umzusetzen. Die Kommunalwahlen standen an – viele Bewerber, kaum Bewerberinnen. Da es sich ja immer gut machte, auch eine (Alibi-)Frau auf der Liste zu haben, die nebenbei auch noch Stimmen bringen würde, bekam U. Benedix Platz 7 auf der CDU-Stadtrats-Liste Uelzen.
Sie wurde gewählt, ja, aber: Auf ihr Einverständnis hoffend, wurde sie gebeten, auf ihr Mandat zu verzichten, da der Mann auf Platz 3 (mit weitaus weniger Stimmen!) besonders wichtig sei (was „wichtig“ in diesem Zusammenhang auch immer bedeuten mochte). Aus heutiger Sicht ist es nicht nachvollziehbar, aber Ursula Benedix verzichtet auf ihr Mandat! Sie schreibt dazu in ihren Erinnerungen:

„Mir verschlug es zunächst die Sprache. Man erwartete tatsächlich von mir, dass ich meine Wähler enttäuschte, die mich mit großer Zahl gewählt hatten, mir also das Vertrauen ausgesprochen hatten. Das war doch ungeheuerlich, und ich machte meiner Empörung Luft. Als ich den ersten Schock überwunden hatte, überlegte ich nüchtern meine Situation. Was hätte ich so völlig unerfahren als einzige Frau in der Fraktion bewirken können, wenn man mich nicht wollte, wenn ich von der eigenen Partei nicht getragen würde und keinerlei Unterstützung hatte? Ich entschied mich dann doch, mir dies nicht anzutun …“

Frau hätte sich eine andere Entscheidung gewünscht! Wie hätte sie sich heute 50 Jahre später – verhalten? Nun, vier Jahre später kandidiert sie wieder, sie wird wieder mit großer Mehrheit gewählt und dieses Mal nimmt sie ihr Mandat an. Im Rat der Stadt Uelzen gibt es jetzt 2 Frauen (unter 21 Männern). Ursula Benedix engagiert sich vor allem in der Schul- und Kulturpolitik; Höhepunkte der Ratsarbeit sind die Errichtung des Theaters an der lImenau und der Bau des großen Hallenbades.
Ursula Benedix betrachtete Uelzen als ihre zweite Heimat und als Wiege ihrer parlamentarischen Arbeit. Neben vielen Vorhaben lag ihr besonders der Bau des neuen Theaters am Herzen. Bereits 1959 wurde im Rat die Schaffung einer Stätte für kulturelle Veranstaltungen erörtert. Bis Ende 1963 zogen sich die Verhandlungen hin, weil der Rat sich nicht auf einen einheitlichen Plan einigen konnte. Die ldeen reichten von der Vergrößerung des Parktheaters, der Schaffung eines ,Mehrzwecksaales“, dem Bau eines,,Hauses der Kultur“ bis zur Kombination,Theatersaal Aula“ der Lessingschule. Ursula Benedix, Vorsitzende des Kulturausschusses, drängte auf eine Lösung, wenn Uelzen die Möglichkeit nicht vorübergehen lassen wollte, ein kultureller Mittelpunkt der Region zu werden. Denn zunehmend organisierten die Volksbühne und Busunternehmen der Stadt Theaterfahrten nach Celle, Lüneburg, Hannover und Hamburg.
Im September 1965 endlich beschloss der Rat der Stadt Uelzen die endgültige Variante des Baus eines „Mehrzwecksaales“ in Verbindung mit dem Neubau der Herzog-Ernst-Schule, und im Frühsommer 1969 wurde der Bauplatz für den „Mehrzweckbau“ abgesteckt.
Aber ein Theater mit dem Namen ,Mehrzweckbau“ solle sich gar nicht erst einbürgern, befand Frau Benedix, und so machte sie früh darauf aufmerksam, einen passenden Namen für den neuen Theaterbau zu finden. Sie persönlich fände,,Theater an der lImenau“ sehr gut. Mit öffentlicher Beteiligung erhielt dieser Vorschlag die meisten Stimmen. Zur Grundsteinlegung im Juni 1969 äußerte Ursula Benedix-Engler, inzwischen auch Mitglied des Niedersächsischen Landtags, ihre Freude und Genugtuung darüber, dass ein ausgereiftes Projekt verwirklicht werden konnte, das weit in die Zukunft allen Ansprüchen genügen würde.

Niedersächsischer Landtag und Bundespolitik

1967 wird sie für die CDU in den Landtag von Niedersachsen gewählt. Als Vorsitzende des Kulturpolitischen Ausschusses wird sie ministrabel und als Alternative zu Peter von Oertzen von der SPD (dem späteren Kultusminister) gehandelt.
1972 kam dann der Höhepunkt ihrer politischen Karriere – sie wurde in den Bundestag gewählt, in dem sie bis 1983 blieb. Es war dies die Zeit des politischen Tauwetters: Der Grundlagenvertrag mit der DDR wurde beschlossen, die Anerkennung aller in Europa bestehenden Grenzen, erste zaghafte,,Perestroika“-Versuche…

Und was war mit den Frauen? 1972 betrug der Frauenanteil am Deutschen Bundestag 5,8% (2013: 36,3%). Dazu die Augenzeugin Ursula Benedix:

Um den Frauenanteil im damaligen Parlament zu kennzeichnen, eine kleine Episode. Ich suchte am ersten Tag eine Damentoilette und fand sie auf der ganzen Ebene des Plenarsaals und der Fraktionszimmer nicht. Erst eine Etage höher, wo die meisten Büroangestellten arbeiteten, war eine solche Damentoilette vorhanden.“

Das „Hohe Haus“ tat sich offensichtlich immer noch schwer mit der weiblichen Präsenz. So verursachte 1970 eine Abgeordnete einen Aufruhr, als sie im Hosenanzug den Plenarsaal betrat. Carlo Schmid (SPD) sah die „Würde des Hauses“ verletzt, Richard Jaeger (CSU), auch „Kopf-ab-Jaeger“ genannt, gar die,,Würde der Frau“.
Ursula Benedix trat 1953 in die CDU ein, um sich politisch zu engagieren. In einem Brief vom 19.2.2013 schrieb sie dazu:

Ich habe die Nazizeit erlebt und später die SBZ. Ich wusste also, was Freiheit wert ist. Man muss dafür Verantwortung tragen.“

Hier muss ein kritischer Einwand gestattet sein. Unter dem Eindruck des Mauerbaus 1961 beschlossen Ursula Benedix und ihre Eltern, sich ein , Fluchtquartier“ außerhalb Deutschlands zu schaffen. Ihre Wahl fiel auf Spanien, in dem Franco diktatorisch regierte.

„Die Zuversicht und Begeisterung (sich in Spanien niederzulassen; R.M-W.) von uns stieg, als wir mehrfach erfuhren, als Deutsche in Spanien sehr angesehen zu sein. Man brachte uns nämlich mit der Legion Condor in Verbindung, die ja auf Seiten Francos im Bürgerkrieg gekämpft Benedix hatte. Das ging so weit, dass wir unterwegs sogar zum Essen eingeladen wurden, immer als Dankeschön für damalige Hilfe.“

Diese unkritische Haltung gegenüber einer Diktatur, die sich Hitler-Deutschlands Bomber bediente, um die spanische Republik zu zerstören, wirkt bedrückend und ist schwer nachzuvollziehen.

Die Politikerin Ursula Benedix schreibt wenig über ihr privates Leben als Ursula Benedix-Engler. Aber das Wenige reicht, um zu zeigen, dass ihre Beziehung zu Arthur Engler eine besonders glückliche war, nicht nur wegen ihrer gemeinsamen politischen Arbeit, ihrer großen Ubereinstimmung in allen Bereichen des Lebens, sondern auch, weil sie nun in eine Familie hineinkam.
Eine häufig von Journalisten an Ursula Benedix qestellte Frage lautete „Warum sind Sie eigentlich in die Politik gegangen, so hässlich sind Sie doch gar nicht?“ Die Antwort – ein selbst gedichteter Song:

„Es ist unbedingt gefährlich in die Politik zu gehen, besonders wenn man eine zarte Frau und noch leidlich schön!
Einst verhöhnt als Suffragetten, aller Orten karikiert. Nur zum Waschen, Kochen, Bügeln da, seit er uns heimgeführt.
Doch um die Jahrhundertwende brachen aufgeklärt wir auf, und stets, wenn wir etwas erfasst, nahm schnell es seinen Lauf.
Brauchten Männer hundert Jahre, um das Stimmrecht zu erstelh ’n, schafften wir es in zwei Jahrzehnten knapp, ich glaub das lässt sich seh’n.
Ja wir Frauen sind qefährlich, und das lieben Männer sehr,doch außerhalb der Politik, da lieben sie’s noch mehr.“

Ursula Benedix-Engler starb am 17. Mai 2014.

Dieser Beitrag ist auch in dem 2015 erschienen Band Frauen die Uelzen beweg(t)en zu finden. Herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. .Dort dann mit detaillierten Quellen- und ergänzenden Angaben und weiteren Frauenpersönlichkeiten.