Das Thema ,Zwangsarbeit“ wurde in der Presse sowie in der lokalen Geschichtsschreibung lange Zeit nur sehr oberflächlich behandelt. Erst die Diskussion um eine umfassende Entschädigung von Zwangsarbeiterlnnen weckte das Interesse der Öffentlichkeit an diesem Thema, das nun unbedingt nach einer alle Seiten befriedigenden Lösung verlangte.
Meine erste Begegnung mit dem Problem „Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg“ geschah auf dem Kirchentag in Berlin 1989, als der Historiker Ulrich Herberts, der sich mit diesem Thema schon früh auseinander setzte, dem Metropoliten von Moskau eine Liste von Namen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen übergab, die in Deutschland in den Jahren 1941-1945 auf diese Weise zur Arbeit verpflichtet wurden. Auch im Landkreis Uelzen lebten in diesen Kriegsjahren Tausende von Zwangsarbeiterinnen unter meist sehr bedrückenden Lebensverhältnissen, wie die Studie von Nils Koehler eindrucksvoll belegt. Nach Kriegsende wollte man sich an diese Form moderner Sklaverei nur noch ungern erinnern. Im Gegenteil, oft wurden die Opfer der Hitlerbarbarei zu Tätern stilisiert, denen man pauschal kriminelle Neigungen und Aktivitäten unterstellte, da sich einige von ihnen gesetzeswidrig verhielten.
Andererseits erzählte man gerne von Menschen, die aus Belgien oder Frankreich mal wieder zu Besuch bei ihren ehemaligen „Arbeitgebern“ waren und man sich nun gemeinsam an jene Zeit erinnerte, als sie, die Zwangsarbeiter, zwar arbeiten mussten, aber dafür auch etwas zu essen hatten und leidlich freundlich behandelt wurden. In all diesen eher sporadischen und sehr stark von persönlichen Eindrücken gefärbten Darstellungen einzelner Zeitzeugen bleiben bis heute meistens die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa und hier insbesondere die aus der ehemaligen Sowjetunion unerwähnt. Erst genaueres Nachfragen lässt die oft unmenschliche Behandlung erahnen, die diese Menschen aus Osteuropa durch Teile der deutschen Bevölkerung und der staatlichen Bürokratie erfuhren, ein Tatbestand, den die Studie von Koehler nachdrücklich aufzeigt.
Doch auch diese Studie ist eine Reaktion auf einen langsamen, zögerlichen gesellschaftspolitischen Einstellungswandel gegenüber dem verdrängten Thema „Zwangsarbeit“, der sich im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts vollzog. Während sich auf der politischen Ebene die Bundesregierung noch taub stellte und sogar kurz vor der Bundestagswahl 1998 der damalige Kanzler Kohl erklären konnte, dass die „Entschädigungskasse“ zubleibe, zeichnete sich schon Mitte der neunziger Jahre durch Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes ein grundlegender Richtungswechsel an.
Jetzt war es möglich, dass ehemalige Zwangsarbeiterinnen vor deutschen Arbeltsgerichten ihre früheren Arbeitgeber auf Entschädigungszahlungen verklagen konnten, ein mühsames Unterfangen, das viel Zeit und Geld gekostet und den einstigen Zwangsarbeiterinnen nicht viel genutzt hätte.
Erst die Androhung von Sammelklagen jüdischer Opferverbände vor US-Bundesgerichten gegen einzelne bundesdeutsche Großunternehmen, die während des Krieges Zwangsarbeiterlnnen beschäftigt hatten, leitete eine grundsätzliche Neuausrichtung ein. Die Auseinandersetzung um eine individuelle Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen fand in der Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im August 2000 ein vorläufiges, nun aber konstruktives Ende. Das Stiftungskapital (ca. 10 Milliarden DM) setzte sich jeweils zur Hälfte aus mehr oder weniger freiwilligen Zahlungen deutscher Unternehmen und seitens der Bundesregierung
Zusammen. Nun endlich, wenn auch viel zu spät, konnten die zahlreichen noch lebenden Zwangsarbeiterinnen auf Antrag und unter Nachweis ihrer damaligen Tätigkeit auf eine Entschädigung hoffen.
Die Notwendigkeit, diesen Nachweis zu erbringen, stellte viele dieser zahllosen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor neue Probleme, nicht nur im Hinblick auf sprachliche Hürden oder die Bearbeitung von Anträgen, auch wurde das Erinnerungsvermögen vieler alter Menschen über Gebühr beansprucht, sollten sie sich doch an die Namen, die Orte der verschiedenen „Arbeitgeber“ erinnern, und das nach mehr als fünfzig Jahren!
So war es das Anliegen einzelner Mitglieder der Geschichtswerkstatt Uelzen e.V. (GwUe), diese Schwierigkeiten zu mindern, indem man bei dem damals größten Betrieben des Landkreises anfragte, ob es noch Unterlagen über diesen Personenkreis gebe.
Dieser Text entstammt der Broschüre „Zwangsarbeiter im Kreis Uelzen„.